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Brambora

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Einzelausstellung. Von Michele Gabriele. Malerei

Text von Zoë De Luca Legge

Die Färbung des Gefieders von Vögeln – entscheidend für Tarnung, Kommunikation und sexuelle Selektion – ist das Ergebnis verschiedener biochemischer Kombinationen von Pigmenten. Doch vom Tyndall-Effekt ist diese Regel ausgenommen. Dieses Phänomen tritt auf, wenn die keratinöse Nanostruktur der Federn Licht selektiv streut und dadurch Strukturfarben erzeugt, die durch Pigmente allein nicht erreichbar wären. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Blau, das das Gefieder verschiedener Papageienarten kennzeichnet – ein optischer Trick, der ihre ästhetische Besonderheit zu einem Ereignis macht, nicht zu einer Substanz. Eine durch Physik erzeugte Wahrnehmungstäuschung kleidet die buntesten Tiere, als wollte sie andeuten, dass Identität ein Konstrukt ist. Ein Spiegel dessen, was der Betrachter zu sehen wünscht.

Wie Strukturfarben basiert auch die künstlerische Praxis von Michele Gabriele auf der konstruierten Natur von Erscheinung, den Dynamiken der Wahrnehmung und der Beziehung zwischen Objekt und Subjekt. Brambora, die erste Einzelausstellung des Künstlers, die vollständig der Malerei gewidmet ist, verdankt ihren Titel einer Begegnung mit einem Ara chloropterus, mit dem der Künstler während des Aufbaus und der Eröffnung einer Ausstellung denselben Raum teilte. Genau dieses Tier gibt der Serie Portrait of a Parrot. An Unbothered, Sad, and Cringe Parrot. Indifferent to its Context (2025) Gestalt, deren Werkgruppe eine dialektische und konstitutive Beziehung zu ihrem Publikum verkörpert – verdichtet in der zentralen Serie der Ausstellung: vier Porträts, die sich ihres Beobachtetwerdens bewusst sind. Diese Gemälde sind keine Objekte, die sich einfach betrachten lassen, passiv gegenüber der Macht des Publikums, das alles, worauf sein Blick fällt, in ein konsumierbares Bild verwandelt. Im Gegenteil: Sie wollen gesehen werden, beteiligen sich aktiv an der Dynamik der Betrachtung und fordern von denen, die ihren Blick erwidern, Komplexität ein. Diese ontologische Differenz spiegelt die Projektionen des Betrachters zurück und unterwandert seine Prozesse der Interpretation und Erzählung.

Die drei Gemälde zeigen ebenso viele Papageien, gemalt in der Stilistik klassischer Porträtmalerei – dem Höhepunkt des kulturell vermittelten Blicks. In diesen Darstellungen gelingt es dem Papagei jedoch, seinem ikonografischen Schicksal zu entkommen: Anstatt bewusst zu posieren, besetzt er unbeholfen die gesamte Szene. Er nimmt so viel Raum ein, dass er die dahinterliegenden Dynamiken verdeckt, die durch die wenigen noch sichtbaren Details einen Ausstellungsraum andeuten – einen sterilen und vage deprimierenden Nicht-Ort, eine hypothetische Ausstellung, die uns die Papageien nicht sehen lassen. Sie besetzen die Szene hypertroph, wie jemand, der gedankenlos über eine Vernissage schlendert und vor den Werken vorbeigeht, während andere sie betrachten.

Symbolisch ist der Papagei ein fremdes Subjekt, eine Personifikation des Unerwarteten, eine atypische Figur. In ähnlicher Weise sind Michele Gabrieles Papageien unangemessen, lächerlich, linkisch – pathetisch im doppelten Sinne des Wortes. Völlig fehl am Platz und doch wirken sie gelassen; etwas zerknirscht, aber zugleich unerschütterlich, zärtlich abwesend. Unbewusst ihrer Wirkung auf die Umgebung, wie die Sittiche, die infolge der Tropikalisierung des Klimas seit Jahren beiläufig die Parks mitteleuropäischer Städte bevölkern. Integriert in eine globalisierte, verzerrte Welt, in der es keinen „place to be“ mehr gibt. So befreit sich der ikonische tropische Vogel aus dem Bedeutungsgeflecht, emanzipiert sich von Luxus und Eleganz: Nicht länger mit einer semiotischen Dichte beladen, die seine tierische Andersheit verdeckt, behauptet der Vogel seine Präsenz unbeholfen. Tragikomisch und fast grotesk eignet er sich den Kitsch an und sublimiert dieses intellektuelle Tabu zu einer unbeholfenen Kraft, die ihre menschlichen Besitzer und deren Ästhetiken überdauert.

Mit ihren durchdringenden Augen und verschränkten Flügeln erinnern diese „Meister“ an menschliche Porträts – und werfen die Frage auf, ob diese Vögel vielleicht Hybride sind, wenn nicht gar Menschen in Kostümen. Das klassische Porträt verwischt zum Charakterdesign; die Papageien blicken uns wie Menschen an und verwischen absichtlich die Grenze zwischen beiden Naturen. Nichts ist eindeutig, alles ist denkbar. Diesmal ist es das anthropomorphe Paradox, das unsere Beziehung zur Realität problematisiert und uns daran erinnert, dass diese unvermeidliche kognitive Linse die Welt nur verständlich macht, indem sie ihre radikale Andersartigkeit einebnet. Wir können nur mit Tieren empathisieren, indem wir sie vermenschlichen; um uns ihnen zu nähern, machen wir sie uns ähnlich – und stellen uns so erneut ins Zentrum des rhetorischen Topos der Weltgeschichte.

Diese widersprüchliche Dynamik spiegelt perfekt die Verzerrung wider, die der Künstler in der gesamten Serie aufzeigen möchte. Papageien, die sprechen, ohne etwas zu sagen, die wiederholen, ohne zu verstehen. Sie simulieren Sprache, ohne echten Sinn zu erzeugen – wie kulturelle Systeme, die oft mechanisch Codes reproduzieren, denen jede kritische Substanz entzogen ist. Das Porträt wird so zum Spiegel, zur Reflexion des Mikrokosmos der Kunst, in dem alle Lärm machen: selbstreferenziell und doch verloren, privilegiert und zugleich blind für eine Welt, die hinter uns erzittert.

Diese Untersuchung setzt sich fort in Study for the Plumage of a Parrot. An Unbothered, Sad, and Cringe Parrot. Indifferent to its Context (2025). Obwohl ohne vorgegebene Kompositionsregeln geschaffen, erinnern die drei Gefiederstudien an abstrakten Expressionismus, informelle Malerei und jene künstlerischen Strömungen, die in Krisenzeiten entstanden, als Künstler den figurativen Ansatz überdachten, um Unbehagen und Unsicherheit darzustellen. Diese Gemeinsamkeit markiert einen bedeutenden Wendepunkt in Michele Gabrieles Werk, das sich von hyperrealistischen Oberflächen hin zu sichtbaren, strukturierten Pinselstrichen bewegt, die unmittelbar mit der Sensibilität der malerischen Geste verbunden sind. Wenn die Porträts imaginäre Spiegel waren, die in Messen und Galerien hängen, so sind diese Studien Spiegel, die im Atelier des Künstlers hängen. Hier verlässt das Gefühl den Bereich des Impliziten und streckt sich aus, um sich dem Blick des Publikums zu öffnen – eine entblößte Verletzlichkeit, die nicht nach Aufmerksamkeit strebt, sondern Ausdruck einer Verantwortung gegenüber einer direkteren, persönlicheren künstlerischen Handlung ist.

Eine Graphitzeichnung schließt die Ausstellung – indem sie eine neue Erzählung eröffnet. In La colpa (2025) sitzt ein Papagei neben einem Triton, dem Protagonisten von Michele Gabrieles früherer Serie. Die beiden Figuren begegnen sich im imaginären Ökosystem des Künstlers, überlagern zwei narrative Welten in einem hypothetischen Storyboard, in dem schnelle und essentielle Linien die Unmittelbarkeit einer Erscheinung und das Versprechen einer noch zu entfaltenden Fortsetzung bewahren. Nicht länger definiert durch die Spannung fremder Blicke, sondern vereint in ihrer jeweiligen Andersheit, tauschen die beiden eine Geste des Trostes aus – eine Beziehung, die nicht mehr auf Beobachtung, sondern auf Empfindung basiert. Ein endlich stiller Dialog wird zum Epilog der Ausstellung und öffnet einen Fluchtweg aus der Falle des objektivierenden Blicks.

 


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